Rathaus - Trauung Emil Ganghofer

Beschreibung

Das von Korbinian Enterrottacher (1823-1879), Kalkofen, 1865 erbaute Rathaus kam von 1887 bis 1907 als „Villa Valerie“ in den Besitz der Marie Louise Gräfin von Larisch (1858-1940), geb. Freiin von Wallersee, Nichte und Hofdame von Kaiserin Sissi von Österreich (1837-1898) und Vertraute von Kronprinz Rudolf von Habsburg (1858-1889). Bis 1926 war das Gebäude eine Fremdenpension, ein Jahr später wurde es von der Gemeinde Rottach-Egern gekauft. Seither dient es auch als Rathaus. Das Giebelfresko stammt von Lorenz Kilian, Gmund. Eine Gedenktafel am Rathaus erinnert noch heute an den Besuch der Kaiserin im Jahre 1888.

Das Rathaus besitzt ein eigenes Trauungszimmer. Emil Ganghofer heiratete am 28. September 1897 in Rottach-Egern die drei Jahre jüngere Fanny Geri(c)ke, Tochter des „Civil-Ingenieurs“ Hugo Gericke und dessen Ehefrau Fanny, geb. Lindau. (vgl. Heiratsbuch Rottach, Nr. 11, u. Traubücher/Sponsalien, CB068, M1318 – Trauungen – 1865-1920) Ganghofers Frau ist zugleich die Nichte des Schriftstellers und Theaterleiters Paul Lindau (1839-1919). Eine voreheliche Beziehung, aus der ein unehelicher Sohn hervorging, verband Emil Ganghofer mit der 14 Jahre jüngeren Volksschullehrerin Katharina Gruber (1875-1962). (vgl. Czoik, S. 11f.)

Literarisches Zeugnis (I): Erich Mühsam: Tagebucheintrag zu Emil Ganghofer

Über die Seemannszeit Emil Ganghofers ist recht wenig bekannt. Im Familienbogen vom 15. November 1911 steht nur der Vermerk: „Schiffsoffizier a.D.“ Welches Seemannsgarn zu spinnen Ganghofer gleichwohl in der Lage war, davon erzählt der Dichter, Anarchist und Antifaschist Erich Mühsam (1878-1934) in seinen Tagebüchern. Er, der die Pfingsttage des Jahres 1911 in Tegernsee zubrachte, schreibt am 6. Juni:

„Am Abend kam Thoma, Emilio Ganghofer und Thomas Bruder Peter, ein wilder Jägerskerl mit zerrissenem Bauerngesicht, der kein Wort spricht. Ganghofer erzählte aus seiner Seemannszeit haarsträubende Geschichten und log das Blaue vom Himmel herunter. Grade erzählte er, wie er während einer Revolution vor Peru lag. Die Kugeln flogen um das Schiff herum. Ein Kriegsschiff fuhr heran, dessen Kapitän sich über den Rand beugte und rief: – – Da unterbrach Peter Thoma den Erzähler und ergänzte: ‚Obst net an Radi host‘. Wir lachten furchtbar über diese einzige Bemerkung, die der Jäger den ganzen Abend von sich gab. Schon frühzeitig – gegen ½ 11 – brachen wir auf und ich ging zu den guten Bauersleuten im alten Schulhause schlafen, nachdem mich Thoma sehr herzlich zum Frühstück eingeladen hatte. Ich schlief prachtvoll und stand früh um 7 Uhr auf.“

(Mühsam, Bd. 1, Heft 5)

Auch über Emil Ganghofers nicht erworbenes Kapitänspatent ranken sich zahlreiche Anekdoten: „Emil war 3. Offizier auf einem Segelschiff und strebte das Kapitänspatent an. Dazu sollte es aber nicht kommen, weil beim letzten Besuch vor der Ausfahrt seine Braut von der Reeling fiel, Emil ihr selbstverständlich ins eiskalte Wasser nachsprang und davon einen Husten fürs Leben behielt. Nach anderen Quellen soll Emil durch eine Wette, bei der es um eine gebratene Ratte ging, die ein Passagier ahnungslos verzehrte, ums Patent gekommen sein.“ (Lemp, S. 112)

Literarisches Zeugnis (II): Ludwig Ganghofer: „Gewitter im Mai“ (1904)

Von den Enkeln Ludwig Ganghofers ist u.a. der Schriftsteller Bernhard Horstmann (1919-2008), der unter dem Pseudonym „Stefan Murr“ Kriminalromane und Thriller schrieb, bekannt. In den 2000er-Jahren befreite er teilweise Ganghofers Romanklassiker vom sprachlichen Ballast der Jahrhundertwende und gab sie neu heraus.

In der Neuausgabe zu „Gewitter im Mai“ gibt er Hinweise auf dessen Bruder Emil als Vorbild für den Protagonisten Poldi:

„Die Handlung spielt in etwas verfremdeter Szenerie am Tegernsee, und dort dürfte sie auch verfaßt worden sein. Ganghofer hatte einen jüngeren Bruder, der tatsächlich zur See fuhr. Er dürfte die Person dieses Bruders als Entwurf für den Poldi in ‚Gewitter im Mai‘ adaptiert und auch seine Erlebnisse und Konflikte mit einbezogen haben. [...] Es ist wahrscheinlich, daß er mit seinem Bruder ausführlich über die Gemütslage eines Seemanns gesprochen hat, der für diesen Beruf zu sensibel und deshalb wahrscheinlich überhaupt nicht geeignet war. Es ist anzunehmen, daß die Idee zur Novelle aus diesem brüderlich freundschaftlichen Verhältnis heraus entstanden ist.“ (Murr, Neu-Edition)

Auch der Ganghofer-Experte Emil Karl Braito (1935-2011) ist der Ansicht, dass Ludwig Ganghofer seinen jüngeren Bruder in der Novelle verewigt hat (Braito, S. 70). Die folgende Textpassage daraus unterstützt diesen Befund insofern, als sowohl der echte Emil als auch der fiktionalisierte Poldi allerlei Seemannsgarn und Tagträumerei zur Schau stellen und es beide zum Dritten Nautischen Offizier geschafft haben:

„Dem lachenden Träumer grub sich eine ernste Furche in die braune Stirn. Und während er hinausblickte über das sonnige Spiel der Wellen, stiegen die Bilder aller Gefahren vor ihm auf, die er überstanden hatte da draußen in fernen Welten. Der Schiffbruch an der kalifornischen Küste – auf seiner ersten Fahrt als Leichtmatrose. Sieben Tage im Boot! Und nach der Rettung das gelbe Fieber. Und das Jahr darauf, als er schon die volle Heuer hatte, die Revolte im chinesischen Theater zu Hongkong – die tausend bezopften Zuschauer in schreiender Wut gegen die vier deutschen Jungen, die beim Anblick dieser absonderlichen Kunst ein bißchen lustig und übermütig wurden. Wollten sie nicht erschlagen werden, so mußten sie sich mit dem blanken Messer einen Weg bahnen! Und die Tigerjagd in Indien, auf die der Prinz den jungen Försterssohn als Büchsenspanner mitgenommen hatte! Als der angeschossene Tiger, gereizt durch die Feuerbrände und den Paukenlärm der Treiber, dem Elefanten, der den Prinzen trug, auf die Schulter sprang, da hatte es gegolten, in allem Aufruhr einen sicher treffenden Schuß zu tun! – Und im Garten der Navigationsschule jener böse Sturz vom Topp des Flaggenmastes! Und dieses traurige halbe Jahr auf dem Krankenbett! Und die Freude der Genesung! Dazu noch der Stolz auf die goldene Borte, als ihn Fritz Radspeelers Vater als Dritten Offizier für die ‚Denderah‘ angemustert hatte! Und gleich auf der ersten Fahrt wieder die furchtbarste aller Gefahren – jene grauenvolle Nacht im Kanal, auf brennendem Schiff...

So stieg ein Bild um das andere vor ihm auf – doch alles mit gemildertem Schatten, alles in die linde Sonne dieses Morgens getaucht, der das vergangene Dunkel so schön und blau machte wie die Berge da draußen.

In verklärendem Glanz und mit heiterem Geflimmer, wie die spielenden Wellen im See, glitt alles an seinen Augen vorüber, was er erlebt hatte in diesen sieben Jahren, seit ein unüberwindlicher Widerwille gegen die Schulbank den Fünfzehnjährigen aus der Heimat fortgetrieben und dem Seemannsberufe zugeführt hatte. Und jetzt die stolze Freude, so heimzukehren, mit der Offiziersborte, als gemachter Mann, der einen schönen Lebensweg vor sich hat – und eine Stellung, die was trägt!“

(Ganghofer, S. 9f.)

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